/hör/
/trenne es, betrachte es als autonom./
/Die Straßen bilden goldene Herbstblätter im Wind./
Die Straßen bilden goldene Herbstblätter im Wind, der Jahreszeitenwechsel spiegelt sich fahl grau in den Gesichtern der Stadt. Schwarze Mary-Janes, ein Mann hört Schritte und dreht sich um. Gerade werden alte Fassaden gereinigt, jetzt wieder mehr Gelb, das strahlt in der Sonne. Ein goldener Herbsttag heute. Eine junge Frau, ihr Gesicht ist erleuchtet, auf der Sonnenseite der Straße – im Moment, sie lächelt für ihr Ampelumfeld als es grün wird.
Alles Autos, alles Pferde, alles nonexistent.
Ihr Blick zum Boden, während sie den Asphalt quert, schwarzer Lack in Falten, die Mary-Janes trägt sie zu oft, immer nur die Streifen berühren, nicht den Asphalt. Fast wäre sie in einen wichtig-aussehenden Mann gehüpft, der hat böse geschaut, dann hat sie gelächelt, er auch - folglich.
So ist das, so sind solche Tage, sie sind gut, augenscheinlich, man meint, man vermutet und dann springt man und kommt am Asphalt auf.
Der rechte Mary-Jane betritt den Gehweg, als eine Frau, bei Fastrot, die Straße betritt, die Streifen streift sie unabsichtlich, ihre bordeaux Stilettos tragen den Herbst in Blätterform, sie muss sich unbeabsichtigt in einem weniger urbanen Umfeld aufgehalten haben, jedenfalls nicht ihr natürliches. Wahrscheinlich würde sie es nicht mal in Südfrankreich aushalten, zwei Wochen Urlaub, maximal. Congé an der Côte d’Azur, so würde sie es wohl formulieren…
Die Mary-Janes gehören zu langen, schwarz gehüllten Beinen, ein schicker Kaschmirmantel in schwarzen Samt gerahmt.
„Du bist mein Begräbnis!“ hat das sich darin befindende Mädchen heute abermals gedanklich wiederholt und sich in Folge auf den Arm geschrieben.
(Worte welche man ihr früher sagte, einmal, mehrmals, niemals.)
Ihre Laune strahlt förmlich – ohne Lächeln. Im Herbst war sie geboren, heute wurde ihr einundzwanzigstes Lebensjahr vollendet, sowas ist für alleine, denkt sie, mag sie, scheint sie zumindest.
Es war noch nicht so weit, die Vollendung würde um achtzehn Uhr achtzehn vollstreckt werden/stattfinden.
Wenn ihr Weiß mit Sonne durch das Blätter umrahmte Gegenlicht kommt sieht sie Rot.
Am einunddreißigsten Oktober lag sie krank im Bett, vierundzwanzig Stunden später, der Anbruch eines neuen Monats, ihre Gesundheit mit ihm.
So klar war es heute, dass man es durch die Fensterscheiben nicht mehr sah, überall Menschen an den Fassaden, klare Sicht, klare Gedanken, also Frühjahresputz im Herbst, die Stadt erstrahlte im Goldenen.
Immer mehr der Tag sich Richtung Mitte streckt…
Schwarze Mary-Janes, die Menschen an den Fassaden schauen zu Boden, wie es das Mary-Jane-Mädchen tut, um es zu sehen, um etwas Entzückung zu fühlen.
Ihre Gedanken sind wirr, ihre Fenster hatte sie noch nie geputzt.
Hier ist der Moment past.
„Passé, passé, passé Demoiselle!“
Als sich das junge Fräulein der Befleckung der Großstadt hingab, lag sie der großen, weiten Welt mit offenen Armen zu Füßen. Denn lernte sie; die Beine hält eine ehrenwerte Dame immer geschlossen.
Ohnehin machte sie sich nicht viel aus Anzügen – außer einem Lächeln.
Doch das waren nicht die ihren Gedanken, sie pflegte zu schweigen, auch gedanklich, um nur das Gold des Augenblickes aufzunehmen, tief, tief, tiefer.
Für immer…
Das Weiß des Fells der Schimmeln erstrahlte wie der Tag es wohl tat, das zufällige wahrnehmen dieser Seltenheit war für nun bestimmt.
Kleine Mädchen, gehüllt in weiße Strümpfe und rote Mäntelchen spielten versinkend auf dem weißen Kies des Parks den sie querte. Liefen durch das Grün der Wiese um zu fallen, um farbiger zu werden, um die Rosen vor ihren Augen zu berühren und sich die Finger wund zu stechen, ungeachtet von ihren in einander vertieften Müttern.
Steinern staubige Schichten bedeckten den schwarzen Lack, legten sich in die Falten und blieben beabsichtigt unentdeckt um der Straßenbahn zu folgen und den Tag zufällig(er) zu begehen.
Auf dem warmen Holz ließ es sich gut beobachten, fremde Zeitungen lesen, zumindest Schlagzeilen und das Wetter. Morgen soll es regnen.
Eine alte Dame saß weiter vorne in dem Wagen, mit einem Silberfuchs um die Schultern.
So gepflegt sah sie aus, akkurat die roten Lippen.
Weit hinter ihr; Zerstreuung.
Die Mary-Janes wanderten den umliegenden Boden ab, die Ruhe gilt es nicht zu verstecken.
Die Zerstreuung war in einen alten Wollpullover, ein darunter raus blitzendes oxfordblaues Hemd und klassische Chinohosen gekleidet. Obgleich diese Zerstreuung recht ansehnlich wirkte, auf äußerst klassische Art und Weise, so hatte sie dennoch etwas unorthodoxes, einen Bruch an dem sich die Trägerin der Mary-Janes wohl gewissermaßen zu interessieren schien. Es war der Bruch, nicht der Mensch. Aus einem Menschen machte sie sich für gewöhnlich nicht viel, meistens reizten sie kleinste Tatsachen/Details die andere nicht einmal unter einem Mikroskop wahrnehmen würden.
„Deine Details möchte ich erfahren.“
brannte sich erneut in ihre Gedanken, die Vergangenheit schien sie fest von hinten zu packen.
Die Zerstreuung sah dezent breit aus, wahrscheinlich hatte sie einen Doppelnamen dachte sie, auf Peter wäre sie niemals gekommen, auf achtundzwanzig auch nicht. Da es ihr sowieso nicht zur Wahl stand widmete sie sich nun wieder anderen Dingen…
Sie war dafür, mehr Laufschuhe im Stadtbild zu erblicken, und zwar an den Füßen von Anzugträgern. Nicht die solchen die sich in ihrer Freizeit befanden und verzweifelt an der Zeit festhielten -
/Wie Wachs, wie Wachs, wie Wachs zerfließt ihr…/ - sondern solche, die sich noch in ihren Anzügen befanden und unglaublich wichtig wirkten.
Einmal ging sie einem hinterher, dem Laufschuhe schrecklich gut gestanden hätten, und befand sich plötzlich in mitten der Börse, bis heute kann und will sie sich das nicht erklären. Nun den Gedanken weiterschieben, es ist wie ein Bücherregal, das mal wieder abgestaubt werden muss. /Mein Archiv ist staubig, staubig, staubig…/
Noch immer golden der Herbst doch nicht sichtbar durch die verschmutzten Scheiben.
Runde werden eins, sie beschließt auszusteigen.
Das hell strahlt noch einmal, auch in schmalen Gassen. Die Mary-Janes bewegen sich in schleifenden Schritten, unbekanntes Umfeld hier. Demoiselle wünscht sich räumlich zu verändern.
Damals als sie klassisch mit Kopftuch und Köfferchen im Schoß ihrer Kleinmädchenträume ankam fand sie ein leistbares Dachkämmerchen, im Herzen der Stadt, hinter der Oper. Doch nun beliebt ihr nach Gesellschaft, die Vereinsamung hat sie ganz hager werden lassen, lauter Kummer legte sich auf sie, bis man nur noch die Rippen sah.
Das Rosé verhaucht von den Wangen, gebliebene Blässe sieht das Gegenüber.
Nun feste Schritte Richtung Futur Habitation. Der Plafond soll hoch sein, Stuck und Parkett, hell, ruhig, ein netter Mitbewohner - Künstler.
Wie unkonvenzionell möge man denken, ein unverheiratetes Mädchen mit einem unverheirateten Mann zusammen wohnen zu lassen, doch sind die Zeiten anders, das Mädchen hofft zu finden, wie auch der Mann.
Die letzte Wärme vor dem Schnee wird in einer nach draußen verlagerten Kaffeehausästhetik genossen, welche die Mary-Janes tragende Demoiselle fast laufend streift.
Nur ein kleiner Junge kann ihren Mantel berühren „Du, wer ist denn tot?“ fragt er.
Das Mädchen lächelt nur mit anhaltendem Tempo um sich bei der nächsten Ecke der Stadt zu verschreiben. „Leopold Jonathan“ stand mit Kreide auf le Trottoir geschrieben.
Wie Mary Poppins war die Stimmung in den Straßen. Auf den Dächern schwarze Männer, überall, dachte sie.
Laut ihres Stadtplans müsste sie gleich da sein.
Kopfsteinpflasterkopfsteinfplasterkopfsteinpflaster.
Eine dezente Allee schien es zu sein. Die Tür groß, halb prächtig, halb weiß.
Eine Stimme „Ja, bitte?“ Dunkles Treppensteigen, ein Lift den die junge Dame als „schnieke“ bezeichnet um folglich über adäquate Synonyme nachzudenken.
Die Klingel ist golden, fast absurd golden ist sie, schwarze Lack-Mary-Janes stehen auf einer Türmatte, halb klassisch, halb durch, vor einer Tür, No°14.
Nach dem das zart schwarz gehüllte Fräulein über die Schwelle trat wurde es sogleich in die Küche gebeten, Kaffee und Kuchen, es ist ein samstäglicher Mittagstraum.
Es ist die fünfzehnte WG-Besichtigung, diesmal scheint die Altersdifferenz nicht zu stören, man erfreut sich am Intellekt. Das gebotene Zimmer ist kein Stück kleiner als ihr bisheriges Kämmerchen hinter der Oper, die Lage interessant, Stille tatsächlich gegeben.
Die surreale Tatsache wird zur Realität. Sinn ergibt Unsinn.
„Wir schreiben Bilder an die Wände.“
Von unten sieht es Dunkel aus, die Stadt hat sich beim nach oben schauen kennengelernt, das Viertel sieht nach oben gesehen gut aus. Mary-Janes bewegen sich festen Schrittes, etwas Kleines mit zwei Zöpfen schaut von der anderen Straßenseite hinüber.
Fast scheint es zu spät um Kuchen zu kaufen, die Kerzen zu holen und niemanden zu sehen.
Sie läuft an dem bekannten Kleinpark vorbei, dahinter die Akademie, ein unsichtbarer Katzensprung, die Kerzen liegen in Atelier B69. Erst die Treppen hoch, dann links, den Korridor entlang, die nächsten Treppen hoch, gerade aus, links, nocheinmal links, die nächsten Treppen hinunter, den Korridor entlang, rechts, geradeaus, dreimal links abbiegen um dann die dritte Tür von rechts zu nehmen, Atelier B69, Unordnung, jemand raucht am Boden, die Kerzen liegen noch da. Die dritte Tür von links schließt sich, dreimal rechts abbiegen, geradeaus, links, den Korridor entlang, die nächste Treppe hinauf, rechts abbiegen, nochmal rechts, gerade aus, die nächste Treppe runter, den Korridor entlang, dann rechts, die erste Treppe runter, die Tür öffnen, den Tag atmen, der fast schon Abend ist, laufend Torten suchen, finden, bezahlen, nur noch dasein, sein, sein, sein, bewusst, sein, sein, sein, allein.
Schwarze Mary-Janes werden eins mit der Nacht. Die Oper leuchtet golden, das ist es also, was bleibt? Der Schlüssel ist alt, das Haus schmal, die Treppe lang, das Kämmerchen warm, sie beinahe glücklich. Im Bad freut sich das Fräulein an feinen Dingen, sucht dringen Rasierklingen. Das Schwarz war abgelegt, die warm weiße Ästhetik ihres Bades nahm sie nicht mehr war, die Rasierklinge setze sie mit ihrer linken Hand an das rechte Handgelenk, der Schnitt war tief, doch nur kurz, mehr brauchte sie nicht, nur reales Rot sehen.
Rot, fließen, zäh tropfend, sie seiend, nicht fühlend, ohnmächtig, ohnmächtig, ohnmächtig nur noch das Wort „Machtentzug“ stammelnd…
(…)
Fürsorglich und aufmerksam wie die Nachbarin der Demoiselle war klopfte sie gegen neunzehn Uhr gegen die Tür des Kämmerchens. Keine Reaktion.
Fester klopfte sie nun bestimmt, immer fester, vergebens.
Einen Zweitschlüssel hatte sie, für Notfälle, ein bisschen hatte sich die junge Dame doch geöffnet, die Tür zum Kämmerchen nun auch. Zerstreuung in schwarz am Boden, das junge Fräulein nicht.
Die Tür zum Bad angelehnt, die gutherzige Nachbarin tritt forsch voran, die Tür öffnend und findet was sie nicht zu suchen glaubte…
Zweiter November.
Die Straßen bilden graue Schlieren, die Gesichter wünschen sich nicht golden zu erstrahlen, sind Seelenlos. Keine Mary-Janes, kein Mann dreht sich um, die Fassaden werden nicht gereinigt, die Demoiselle liest keine Schlagzeilen heimlich, doch sind sie da:
„Die nackte Nymphe mit den Lackschuhen“
Der Boden ist gefliest, Menschensschritte, viele, stätig.
Um das blutarme Handgelenk ein Plastikbändchen mit dem Namen Daphne.
/Hätte ich mir die Gelenke nur beidseitig aufgeschnitten, wäre ich nun mehr Waage…/
Niemals brannten die Kerzen, der Kuchen verkehrt am Boden, jetzt muss es so tottraurig wirken mein Kämmerchen, dachte das nun nicht mehr Mary-Janes tragende Mädchen.
Die werte Nachbarin hatte die Rettung gerufen. Als das leichenblasse bloße Fräulein abgeholt wurde beschloss Frau Bausch die Schlaftabletten für eine ganze Woche zu schlucken…
„Frau Bausch“ an den Namen erinnere ich mich blass dunkel sagt das junge Mädchen zu etwas vor ihr verschwommenen. Der Künstler mit der schönen Wohnung, Minuten zuvor waren es fast bestimmte Schritte, zerwühltes Haar und Blumen die kamen.
Das Mädchen lag in der psychiatrischen Abteilung im Hospital.
Klarer die Augen, nun erkannte sie ihr Gegenüber, welches wiederum dachte seines zu kennen.
Der Künstler erzählte dem Fräulein ihre Geschichte, zumindest die der jüngsten Vergangenheit, mehr wusste auch er nicht.
Den Tod der werten Nachbarin verschwieg er – erstmal.
„Du bist mir doch ganz unbekannt, und ich bin es dir, wieso bist du also hier? Wieso weißt du von mir, von dem hier?“
Einen Zettel mit dem Namen des Künstlers und der Anschrift fand man unter der schwarzen Zerstreuung ihrer Bekleidung, man dachte, es würde sich um jemanden handeln, der la Demoiselle nahe stünde.
Weil die Familie des Fräuleins unbekannt war und sie jegliche Aussage verweigerte, bot sich der Künstler an, nach ihrer Entlassung für sie zu sorgen, auf die psychische Stabilität zu achten, wie er es nannte.
„Daphne ist also dein Name?“
Das junge Mädchen hatte beschlossen das sprechen zu lassen, dafür aß sie, die Ärzte waren zufrieden. Manchmal nahm sie eine Hand die ihr nahe war, hielt kurz inne und leckte dann an ihr. Wie eine Katze war das, wie ein Kätzchen, völlig wild, völlig frei von Schuld.
Der Künstler war ganz vernarrt in sie. Wochen vergingen, physische Wunden heilten, doch das Mädchen ohne ihren Mary-Janes sprach nicht.
Wöchentliche Therapiesitzungen wurden ihrerseits schweigend verbracht.
„Mein Herr, ihr wertes Fräulein muss uns noch länger mit ihrer Anwesenheit erfreuen, denn solange sie nicht wieder spricht können wir sie nicht gehen lassen. Schauen sie nur in ihre tieftraurig verstörten Augen/ihr tieftraurig verstörter Blick.“
„Mein Herz blutet, nur füttern und pflegen mag ich das Kätzchen und glücklich sehen. Verstehen Sie Herr Doktor?“
Siebenundvierzig Tage…
…sind vergangen seit ihrem Geburtstag. Langsam beschloss sie wieder zu sprechen, ein wenig, ein paar Worte….
Die ersten bekam ihr Psychiater… „Müde und ganz verstörend, die Bilder flirren, Blut läuf meine Schenkel hinunter, im Angesicht des Teufels, die tollsten Haare hat er, die weichsten Hände, die schwärzeste Seele…“
(…)
„Mein Herr, ihrem werten Fräulein scheint etwas Grausames wiederfahren zu sein… Sie begann zu sprechen“
„Was sagt sie? Sagen sie mir, was sagt sie?“
Dann Gespräche, monotone Einseitigkeit.
In der nächsten Therapiesitzung erzählte das Mädchen von ihren Alpträumen, das alles waren nur Alpträume. Bizarrerweise konnte sie ihrem Psychiater wirre Fantasien unterbreiten, ihm glaubhaft machen, in seinen Augen war sie eine Andere.
Nach dreiundfünfzig Tagen wurde sie entlassen.
Ob sie nun an PTSD, einer oralen Charakterneurose, Depressionen oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leide, interessierte nun niemanden mehr, denn augenscheinlich schien sie auf dem besten Wege der Besserung, heiter war sie, fast fröhlich, die Wangen glühten rosa, der werte Herr wollte für sie da sein und in der Kunsttherapie zeichnete sie nur noch weiß gehüllte Nymphen in weißen Ballerinas, keine schwarzen Mary-Janes mehr, auf die passte der werte Herr auf, meinte sie dann zu ihren Betreuern.
Medizinisches Versagen durch die gewiefteste Art der Verwirrung seitens eine psychisch Kranken.
Auf dem Krankenbett verlassen ließ sie ein Stück Papier zurück…
„Im weißen Gang ganz glücklich die Kälte des Lichtes liegt
getastete Mäusepfoten auf Pflastern laufend weg
in diese Welt voll Kaugummi am Boden jeder Ecke
in diesem Haus so gelb verschlossen
sitze ich und wippe - beflecke.“
Mit Köfferchen und Kopftuch und Künstler an der rechten Seite bewegten sich staubig schwarze Mary-Janes – in dessen Besitz das Mädchen eigentlich gar nicht mehr war - hölzern über Kopfsteinpflaster. Kalte Wintersonne im Nacken und fast etwas Glück im Herzen – fast.
Das gar nicht denken müssen lässt den schwarzen Lack leicht über dem Kopfsteinpflaster schweben, die Leichtigkeit des Seins, nur die Leichtigkeit… im Jetzt.
Der galante Herrenarm versucht raumlassend zu halten, fast wie mit Helium gefüllte Luftballons lässt sich das Bild von jeglichen Seiten betrachten.
Um die Uhrzeit – des frühen Nachmittages – lässt sich die Nebelwanderung gut beobachten. „Würde ich nur meine Füße nicht mehr sehen… nie mehr wieder…“
/Entledige dich deiner Pflichten um Selbst zu sein./
Philosophisches spiegelt sich im Anbeginn des Anbeginns wieder. Für ihre weiß besockten Füßchen hat der werte Künstler die Mary-Janes aufgehoben, nun darf er das Schweben genießen, nun genieße, nun genieße.
Der Nachmittag ist still, ist calm, ist klamm.
Es ist die Straße die Richtige, sie vergaß den Weg zur Gänze.
Das physische Verweilen in der Weiße des Raumes, ihres neuen Umfelds, der neuen Habitation, gefiel ihr ein Stück. Warme Hände auf des Fräuleins Schultern, Tee und Kuchen und Gebäck.
„Würde ich dieses Momentszenario von oben betrachten, würde ich merken, dass es sich hierbei um eine Neuinterpretation von Une Femme est une Femme handelt.“
„Tust du aber nicht, beschmutze dein feines Sein nicht mit dem Vergleich. Niemals wärst du Anna Karina, niemals, Daphne bist du, bist du, bist du, Daphne, mon Chaton.“
Ganz kalt war ihr, trotz warmer Hände und die Tränen auch nicht knapp.
„Sprich mit mir mein Kätzchen, sprich…“
„Non.“
„Dann schweige, leg dich hin, sei einfach und ich schreibe, schreibe über dich, für dich, für mich, für Geld…“
Jetzt war es geschehen um sie um den Moment, das Fenster geöffnet, fast springend. Dritter Stock, Münzen sind aus ihrem Unterrock gefallen, verschwunden in den Straßenritzen, weg im Dunkel, weg. Die ihren Schultern Richtung Matratze gedrückt, voller Unglück war es nun, Unglück in Gefangenschaft. Verstehen will der Künstler sein Kätzchen und die tiefe Trauer, würde sich ein Messer ins Herz rammen, würde er nur wissen, will doch nur wissen, will doch nur, ja was?
„Watte brauchst du überall, um dich, ein seidenraupener Kokon. Du feines, du zartes, du dunkles Wesen, in Ketten müsste man dich legen um dich vor dir selbst zu schützen.“
„Vor der Welt sollst du mich retten…“
„Versprich zu schlafen, hier zu bleiben, morgen früh möchte ich dich an Ort und Stelle antreffen…“
Er mochte und er würde…
Nicht einmal tränennass war ihr Haar, zum küssen schimmerte es in der Hälfte des Morgenlichtes.
Langsames bergaufgehen, stätiges, das wünscht er sich von ihr.
Tee mit Milch zum Aufwachen, und ein melancholiefreies Lächeln.
Es sah nach Regen aus, nach etwas Sonne auch, es sah nicht mehr nach Herbstblättern aus, Vereinzelte auf dem Kopfsteinpflaster vielleicht, es sah nach etwas dazwischen aus, etwas zwischen allem, so wie sie.
Er wusste, dass sie etwas zu erzählen hatte, sie wusste das sie irgendwann sprechen musste, aber nicht jetzt, noch nicht, weil Momente stimmig sein sollen, das denkt sie, fest, dreimal, oder öfter.
Eine optionale Liste lag auf einem rechteckigen Holztisch, welcher sich in der Küche befand.
„Mon Chaton, sei so gut und wähle eine optionale Option….“
„Optionale Option mag ich…“ sagte das Fräulein gar heiter um sich folglich durch ihre neue Habitation zu bewegen…
„Zirkus, Streichelzoo, Zuckerwatte, ich wähle atmen…“
„Verrückt bist du, hörst du, verrückt bist du…“
„Ach, wäre es so, würde ich mich noch in der heiteren Atmosphäre des Hospitals befinden…“
Man braucht Stille.
(…)
Die Minuten streichen, die Stunden streichen, die Tage streichen dahin… Mittags ist ihr Morgen, nachmittags ihr Vormittag, die Nacht ihr Tag. Der Künstler schweigt, kauft Rosinenbrötchen, welche sie nach dem Erwachen verspeist, Morgens, also Mittags. Tags- also nachtsüber ist sie kaum, man drückt die Augen zu und freut sich über etwas Motivation.
„Du bist Meisterin der Illusion, nichts glaube ich dir mehr. Heroin könntest du dir spritzen und man würde meinen du seist clean…“
Der Dezember…
…ist eine schöne Jahreszeit, hat man nichts zutun, kann man den Advent genießen und Tag ein, Tag aus, mit Weihnachtseinkäufen verbringen. So tat es Demoiselle… Mittlerweile tapsten ihre Füßchen in Fell gehüllt die vereisten Straßen auf und ab, mit Häubchen und einem alten Pelz. Bambibärfuchsbambibärfuchsbambibärfuchs.
„Lass mich naiv sein, ein Kätzchen wünsche ich mir.“
„Meines habe ich schon und achtunddreißig Bilder, fünfundfünfzig Seiten, geschriebene…“
„Du kätzische Muse… Sag, wie geht es dir heute? Du versteckst dich fein hinter Haaren, Schichten, Dicken. Doch sehe ich die Melancholie in deinem glasigen Blick… Daphne, was denkst du in diesem Moment?“
„Das Klischee drehen wir um, vergessen will ich, hörst du?“
„Vergessen kommt von alleine, wenn du nur mit dem Verarbeiten beginnen würdest, hörst DU?“
Beide im Türrahmen, von einer Seite warm…
„Mach die Tür zu, die Wohnung ist warm, darf ich dir aus deinem Mäntelchen helfen?“
„D'accord!“
Artig fügte sie sich ins weibliche Bild…
Der Dezember ist gut um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen…
Noch ist er am Anfang, würden sie die Mäntel immer am Boden neben der Tür liegen lassen, wäre es Kunst denkt sich die junge Dame.
„Daphne, mon Chaton, hast du deine Medizin genommen?“
„Der Dezember ist gut um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen… Jetzt scheint der richtige Zeitpunkt um dir meine Geschichte zu erzählen…“
Die Mäntel legte der Künstler auf den Boden neben der Tür, nahm das junge Fräulein in die Arme, ließ sich fallen, samt ihr.
„Als ich mich der Befleckung der Großstadt hingab, lag ich der großen, weiten Welt mit offenen Armen zu Füßen. Damals als ich klassisch mit Kopftuch und Köfferchen im Schoß meiner Kleinmädchenträume ankam fand ich ein leistbares Dachkämmerchen, im Herzen der Stadt, hinter der Oper. Ich bereitete mich auf die Eignungsprüfung an der Akademie vor, hatte vor Bildende Kunst/freie Grafik zu studieren… Hart wie gedacht war die Tortur der Eignung, doch sollte ich sie bestehen. Bald hatte ich gemerkt, dass ich ein halbtransparenter schwarzer Fleck unter all den anderen war, doch mein Potenzial ist einem Professor aufgefallen. Einmal, es muss um die drei Monate nach dem Studienbeginn gewesen sein, bat er mich in sein Büro, nach einer Atelierstunde… Es war Winter, also war es früh dunkel, wie das Zimmer, im Zwielicht war es, Kerzen brannten, drei waren es, mindestens. Ganz leise sprach er zu mir, wie gut ich sei, dass etwas ganz großes aus mir werden könnte, größer als ich mit zwölf Zentimeter Absätzen, größer als ich mit auf toupiertem Brigitte Bardot Haar, größer als ich… Er sagte mir, dass er meine Arbeiten sehr schätzen würde, dass er MICH sehr schätzen würde… Er stand hinter mir, legte mir die Hände auf die Hüftknochen, sagte, dass ich ausgesprochen schöne Hüftknochen habe, er würde es mögen Knochen zu fühlen aber auch Fleisch, perfekt sei ich, sagte er… Er fasste mir ins Haar, küsste meinen Nacken, war erst sanft um immer bestimmter zu werden… und ich, ich… ich kann das nicht, nicht sehen, wieder, ich will… will weg, kann nicht her sehen… Es war dunkel als er kam, es war dunkel als ich Blut spürte, es war dunkel als ich ging…“
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